Darf ich als Christ*in für Aufrüstung sein?
Nach dem Aussetzen der Schuldenbremse für Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen kann Deutschland im Grunde unbegrenzt viel Geld in seine Verteidigung investieren. Wie verträgt sich das mit dem biblischen Schalom?
Nach dem Aussetzen der Schuldenbremse für Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen kann Deutschland im Grunde unbegrenzt viel Geld in seine Verteidigung investieren. Wie verträgt sich das mit dem biblischen Schalom? Jede Differenzierung macht auch ein vielschichtiges Dilemma deutlich.
Martin Luther war gewiss kein Pazifist! Er wetterte gegen die Aufstände der „räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ und sprach sich vehement für Militärinterventionen aus: zur Eindämmung von Anarchie und Terror. Als Kind der 80er-Friedensbewegung haben mich solche Ansichten im Theologiestudium verstört. Als Militärpfarrerin frage ich mich heute, wie weit ich mir meinen bisherigen Pazifismus-Begriff leisten kann: angesichts zahlreicher russischer Angriffe auf Nachbarn seit der Wende und des aktuellen Ukrainekriegs.
Natürlich bin ich gegen Gewalt, auch gegen eine Politik der Aufrüstung. Natürlich sind zivile und wirtschaftliche Verflechtungen sowie geschickte Kommunikation und Fürbitte am Ende das Menschenfreundlichste und Nachhaltigste: Pazifismus als sicherheitspolitische und gottgewollte Grundhaltung! Und: Jagen wir nicht als Christen Gottes Frieden nach, dem biblischen Schalom?
Zum Nachdenken bringen mich „meine“ Soldat*innen am Niederrhein, die Kampfeinsätze der Bundeswehr mitunter kritisch betrachten. Sie alle aber würden dem Schutz angegriffener Menschen und Nationen dienen, sehen die Sinnhaftigkeit von Evakuierungs- und Stabilisierungseinsätzen, von Ausbildungsaufgaben, zum Beispiel mit ukrainischen Soldat*innen. So einfach ist das nicht mit dem „Pazifismus“ und der „Aufrüstung“: Es kommt auf deren genaue Beschreibung an!
Für mich entwickeln beide im realistischen Betrachten der gegenwärtigen Lage und im demokratischen Diskurs von Möglichkeiten effektiver Verteidigung neue Gesichter: Pazifismus kann auch als militärischer Beistand in Bedrohung gedeutet werden, wenn zivile, humanitäre Mittel offenbar nicht ausreichen. Aufrüstung und Abschreckung können zur Voraussetzung effektiver Friedensverhandlungen beitragen. Mit dieser Differenzierung der Begriffe aber wird auch ein vielschichtiges Dilemma deutlich: In jedem Fall machen wir uns schuldig! Wenn wir der Ukraine militärisch helfen, und auch, wenn wir das nicht tun. Verletzung, Schuld, Beistand, Vergebung, Solidarität, Achtsamkeit – all das sind Begriffe, die mir als Christin gerade jetzt sehr nahe sind und gehen.
Ich sehne mich nach angemessener Sprache und „gerechtem Frieden“ – und bin sprach- bzw. ratlos. Ich bringe das vor Gott, ins Gespräch und ins Gebet. So wie seinerzeit Martin Luther. Und wie viele Christen, die heute realistisch und dynamisch hinschauen wollen, außerhalb ihrer Komfortzone. Ich werde mich gegebenenfalls als Militärpfarrerin entsenden lassen, sollte die Bundeswehr irgendwo im Dienst der Bündnisverteidigung unterwegs sein: um zuzuhören, Soldat*innen beizustehen in Verletzung, Ratlosigkeit, Kummer, körperlicher und seelischer Not.
„What would Jesus do?“ Ja, das frage ich mich, wo doch das Überleben vieler in Europa auf Messers Schneide steht: als Verfolgte, Verjagte, Beschädigte, Herabgewürdigte. Sie suchen bei uns nicht das neue Paradies, sondern Schutz und Halt. Und es steht Kirche gut, sich dafür zu rüsten!
Autorin: Eva Holthuis, Quelle: EKIR.info Nr. 3/Juni 2025
Hinweis zur Autorin: Eva Holthuis (61) war lange Jahre Gemeinde- und Krankenhauspfarrerin sowie Leitende Notfallseelsorgerin im Kirchenkreis Wesel. Seit 2018 ist sie Militärpfarrerin des Evangelischen Militärpfarramts Wesel. Das Foto zeigt sie 2023 in seelsorglicher Begleitung deutscher Soldat*innen in Polen.