
Im Kunstmuseum Bonn gibt es regelmäßig Andachten als Dialog zwischen Theologie und Kunstgeschichte: Pressepfarrer Joachim Gerhardt (l.) und der langjährige Vizedirektor des Kunstmuseums, Christoph Schreier, im Rahmen der Ausstellung „Der Flaneur“. Fotohinweis: Christian Oeser
Wie verstehen Protestanten das Bilderverbot?
Dem Bildersturm der Reformation zum Trotz sind auch evangelische Kirchen voller Bilder. Denn ohne Emotionen lässt sich nachhaltig keine Botschaft vermitteln. Aber wichtig ist die Erfahrung, dass jedes Gottesbild ein Bild menschlicher Vorstellung bleibt.
Der Bildersturm der Reformation hat die Bilder aus den evangelischen Kirchen gefegt? Das stimmt so nicht. Auch unsere Kirchen sind voller Bilder. Im Vergleich zu den katholischen oder orthodoxen Schwestern mit ihren üppigen Gemälden, Ikonen und Heiligenfiguren nur ein wenig konzentrierter: im Zentrum das schlichte Kreuz im Altarraum. Bild für die Auferstehung Jesu Christi. Oder ein buntes Kirchenfenster, das vom Pfingstfeuer erzählt. Die Orgel in meiner Kirche hat die Form eines Engels. Rosenornamente, die Wappenblume Luthers, schmücken die Bankreihen und das Taufbecken. Alles Bilder.
„Du sollst dir kein Bild machen!“ – Das biblische Bilderverbot zielt auf die Anbetung der Bilder. Aus der Erfahrung, dass jedes Gottesbild ein Bild menschlicher Vorstellung bleibt und abhängig ist von der kulturellen Prägung, vom Lebensalter und dem persönlichen Geschmack. Und aus dem Wissen, dass kein Bild Gott in Gänze gerecht werden kann.
Der Bildersturm in Wittenberg 1522 war ein Sturm gegen den Machtanspruch einer Kirche, die Heils- und Bildgewalt zu besitzen. So theologisch begründet dieser Sturm auch war, er hat wie jedes Unwetter viel kaputtgemacht. Martin Luther hat ihn in seinen Invokavitpredigten durch die Kraft der Argumentation beendet. Bilder sind hilfreich für den Glauben, sagt der Reformator, und „zum Ansehen, zum Zeugnis, zum Gedächtnis, zum Zeichen“ erlaubt. Didaktisch und medientheoretisch auch nach 500 Jahren eine Aussage auf der Höhe der Zeit.
In der evangelischen Kirche ist die Bildpräsenz reduziert worden. An die Leerstelle ist die Musik getreten in aller wunderbaren Vielfalt von Bach-Kantaten bis Gospel. Musik und Bilder, beide lösen Emotionen aus, trösten, beglücken ... Und ohne Emotionen, eine Einsicht der Kommunikationswissenschaft, vermittelt sich nachhaltig auch keine Botschaft. Das muss ich mir auch als vielleicht etwas verkopfter Protestant sagen lassen.
Also: Mut auch wieder zu Bildern. So feiern wir regelmäßig Gottesdienst im Kunstmuseum Bonn. Vor einem modernen Werk von Joseph Beuys, Anselm Kiefer oder Katharina Grosse gestalten wir eine offene Andacht im Dialog eines Kunstgeschichtlers mit einem Theologen. Es ist anregend, wie moderne Kunst, die eine kirchliche Vereinnahmung längst hinter sich gelassen hat, neu spirituelle Räume öffnet für existenzielle Fragen zwischen Himmel und Erde.
Mit diesen Erfahrungen haben wir auch immer wieder Künstlerinnen und Künstler gebeten, neue Werke für unsere Kirche zu schaffen. Kirche nicht nur als Ausstellungsort, sondern als schöpferischer Kunstraum. Ein geistvolles Projekt mit viel Echo, gerade von Menschen fern der Kerngemeinde.
Wir leben in einer Zeit der Bilderflut. Auf Instagram werden stündlich vier Millionen Fotos geteilt. Werden Bilder nicht zunehmend beliebig? Nein. Da, wo keine sind, schaffe ich mir welche im Kopf. Auch die Bibel ist ein Bilderbuch: vom guten Hirten bis zur Taube mit dem grünen Zweig im Schnabel bei der Arche Noah. Ich bete diese Bilder nicht an, aber Gott spricht zu mir durch sie.
Joachim Gerhardt
Quelle: EKiR.info 2/2024